Seit wir zur Schule gehen, bewundern wir jedes Jahr aufs Neue die Marmorarbeiten der jeweiligen zwölften Klasse. Uns erschienen die Zwölftklässler früher so unheimlich erwachsen, dass wir uns kaum vorstellen konnten, jemals an der Reihe zu sein und nach Azzano fahren zu dürfen. Und doch war es dieses Jahr soweit.
Die erste Woche unserer dreiwöchigen Klassenfahrt verbrachten wir im heißen Florenz, wo Frau Mayerhofer-Llanes uns mit der Renaissance bekannt machte. Uns hat die Stadt mit ihrer Architektur und ihrem Flair sehr gut gefallen. Von morgens bis nachmittags haben wir mit unserer Kunstlehrerin die historischen Kirchen und weltbekannten Galerien besichtigt. Am meisten fasziniert haben mich persönlich der David von Michelangelo, die Geburt der Venus von Botticelli und die Medici-Kapelle. Bei den Ausflügen konnten wir oft nicht glauben, dass diese Statuen, Gemälde und Gebäude von Menschen erschaffen wurden.
In Azzano, einem Bergdörfchen in den Apuanischen Alpen und unserem Zuhause für die darauffolgenden zwei Wochen, bekamen wir dann die Möglichkeit, selbst Kunst aus Marmor zu schaffen. Die Zeit war knapp bemessen, um eine Form oder eine Figur aus dem Stein zuschlagen. Trotzdem gelang es den allermeisten von uns, eine Arbeit zu schaffen, mit der sie selbst zufrieden sind.
Es ist beeindruckend, wie aus diesen dreckigen Steinen in dem vertrockneten Flussbett sechsundzwanzig wohlgeformte weiße Marmorarbeiten geworden sind. Dafür war ein Prozess nötig, der seine Zeit braucht, denn wie Herr Bonasia immer sagte: „Es ist ein Dialog mit dem Stein, man kann nicht allein die Form bestimmen, der Stein bestimmt mit.“ Das Steinhaupraktikum in Azzano war für uns alle eine fast magische Erfahrung und ein wunderschöner Abschluss unserer Waldorfschulzeit. Abgesehen davon hatte die Arbeit am Stein einen noch größeren Wert durch die vorausgegangene Zeit in Florenz. Die Eindrücke, die wir in dieser durch und durch künstlerischen Stadt gesammelt hatten, haben uns einen veränderten Zugang zum Steinhauen ermöglicht.
Jetzt sind wir es, die die Marmorarbeiten im Foyer der Schule ausstellen. Das ist auf der einen Seite bedrückend, weil es ein nahendes Ende unserer Schulzeit bedeutet, auf der anderen Seite sind wir einfach dankbar für diese wunderschönen drei Wochen, die damit verbunden waren.
Emma Karl für die 12. Klasse